Das Massaker von Talheim ist das prominenteste Beispiel für die beginnende Gewalt in Mitteleuropa um ca. 5000 v.u.Z. und damit für die beginnende Patriarchalisierung. Das Massaker, welches am Ende der Bandkeramischen Kultur stattgefunden hat, wird auch von der Herrschenden Lehre als einer der ersten Kriegsschauplätze bezeichnet.
Foto: © Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart
An diesem Fund hatten die Ur- und Frühgeschichte und die Naturwissenschaft Hand in Hand gearbeitet, um zu beweisen, dass die Jungsteinzeit Mitteleuropas mit ihrer sesshaften, bäuerlichen Lebensweise von Anfang an patriarchalisch geprägt gewesen sei, also schon 500 Jahre früher als das Datum des Massakers.
Der naturwissenschaftliche Befund, der Patrilokalität bezeugen soll, steht im krassen Gegensatz zu den kulturellen Hinterlassenschaften der Bandkeramischen Kultur. Daher hatte ich erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der Schlussfolgerungen, die aus den Datensätzen der Untersuchungen gezogen wurden. Ich habe dann analysiert und in meinem Buch „Archäologie und Macht“ (siehe rechte Spalte) dokumentiert, wie die vermeintliche Beweisführung strategisch aufgebaut wurde und wie im Einzelnen argumentiert wird. Erstaunlich war dabei, wie schlampig anthropologische Methoden angewendet wurden und wie leichtfertig mit den Befunden umgegangen wurde, um die Hypothese zu bestätigen. Ergebnis meiner Recherchen ist, dass am Ende gar nichts bewiesen wurde, die Untersuchungsergebnisse also nicht für eine solide These verwertbar sind, aber deutliche Hinweise auf Matrilokalität ignoriert wurden.
Dass sich lange niemand über diesen Skandal empört hatte, ist bezeichnend für unseren Wissenschaftsbetrieb, auch dafür, wie gründlich Forschungsberichte gelesen werden und wie blind den Aussagen von Experten vertraut wird. Zwei Jahre nach Veröffentlichung meiner Analyse erschien – von der Öffentlichkeit unbemerkt – im Band 34/2 der „Fundberichte aus Badenwürttemberg“ (Esslingen 2014, S. 22 f), der Artikel „Agentenbasierte Computersimulation als Schlüssel zur demographischen Struktur des bandkeramischen Massengrabes von Talheim.“ Darin stellten Joachim Wahl (Universität Tübingen), der federführend an der Talheimforschung beteiligt war, sowie der Archäologe Andreas Düring (Universität Oxford) fest:
„In der Zwischenzeit wurden mehrere, z. T. auf archäometrischen Analysen basierende, auch fiktionale Versuche unternommen, um „Familien“ oder andere, auf Ähnlichkeiten basierende Gruppierungen innerhalb der 34 ausgegrabenen Talheimer Lebendpopulation aufzudecken,41 die sich jedoch aufgrund von Überschneidungen, unvollständigen Datensätzen oder sonstigen Unsicherheiten sämtlich als unbefriedigend erwiesen haben. Auch eine angenommene, generell höhere Ähnlichkeit aller vorgefundenen Individuen ließe sich nur mit Hilfe breiter angelegter, vergleichender, überregionaler Studien abklären.42„.
[ebd. FN 41 „Vgl. Wahl/König 1987 (Anm. 3). – Alt et al. 1995 (Anm. 9). – Eisenhauer 2003 (Anm. 3). – Wahl/Strien 2009 (Anm. 9) – T. D. Price/J. Wahl/R. A. Bentley, Isotopic Evidence for Mobility and Group Organization Among Neolithic Farmers at Talheim, Germany, 5000 BC. Europ. Journal Arch. 9, 2006, 259-284. Zusammengestellt in Wahl/Trautmann 2012 (Anm. 3).ebd. FN 42 Vgl. G. Uhlmann, Archäologie und Macht. Zur Instrumentalisierung der Ur- und Frühgeschichte (Norderstedt 2012)„]
Der Artikel wurde auch ins Englische übersetzt.
Die von mir kritisierte Interpretation des Befundes entspringt m. E. der patriarchalischen Ideologie: Das Patriarchat soll von dem Verdacht freigesprochen werden, unnatürlich und gewalttätig zu sein, und wird stattdessen als der Motor für Kultur schlechthin aufgebaut. Die Tatsache, dass seit Abschluss der Talheimforschung besonders viele Ausstellungen zur Jungsteinzeit stattfanden, nährt den Verdacht, dass diese der schnellen Verbreitung genau dieser These dienten, denn in keinem Ausstellungskatalog fehlten mehr entsprechende Literaturhinweise und Hinweise auf die vermeintliche Patrilokalität der gesamten bandkeramischen ja sogar frühneolithischen Kultur, die uns durch ihre wunderschön dekorierten Gefäße bezaubert.
Weitere ABBILDUNGEN finden Sie hier:
Homepage der ‚Zentrale für Unterrichtsmedien‘:
http://www.zum.de/Faecher/G/BW/Landeskunde/rhein/geschichte/urundfrueg/steinz/talheim/
Homepage des ‚Museums im Deutschhof‘ Heilbronn, wo die Funde heute ausgestellt sind:
http://www.museen-heilbronn.de/museum/sonderausstellungen/rueckblick/archaeologie/tatort_talheim/
Homepage der Stadt Talheim mit Abbildungen zur musealen Aufbereitung des Massakers:
http://www.talheim.de/ceasy/modules/cms/main.php5?cPageId=46